„Am eigenen Leibe hat Raiber – durch einen Sturz und eine schwerwiegende Wirbelsäulenverletzung – erfahren und als Künstler erspürt wie empfindlich wir sind – gegen Verletzung, im Leben generell, wie hilflos, wenn es uns ereilt. Er hat daraus eine Reihe von Bildern gemacht, die man die Korpusse – die Leiber – nennen könnte. Raiber ging von Röntgenbildern aus – die ja an sich schon ein Gefahrenmoment enthalten – Er hat diese Substrate durch Technik künstlerisch entkonkretisiert – hat sie formal versteift, hin zum tragfähigen Symbol. Es sind raue Bilder, farblich reduziert und auf grobe Konturen des Knochengerüst. Der Künstler taucht quasi in so einen Körper ein, zieht ihn etwas in die Breite. Er raubt ihm die statuarische Sicherheit, die Festigkeit, er blättert die Korpuss auf, höhlt sie aus. Er macht Gespenster aus ihnen – und zeigt darin dann doch mit einem medizinischen Detail, warum sie gefährlich aussehen.

Raiber hat also ganz leiblich seiner eigenen Reparatur nachgehorcht, soweit man das kann, und er hat die Angst und Hoffnung in labile Bilder verwandelt, die die Gefährdung im konkreten Fall hinaus nachvollziehen lassen. Manchmal scheint die Dramatik einer so gemalten Gefährdungserfahrung sehr hoch, mitunter aber ist sie auch ironisch überhöht und also gebrochen.“

 

Dr. Meinhard Michael

aus „Figur und Symbol-Über Jürgen Raiber“ Leipzig 2009

Gerät man aber in eine heftige Stockung der eigenen Lebensbewegung, erfährt man einen Schock, so gerät das bisher feste, verlässliche, als Säule geglaubte in Instabilität. Für Jürgen Raiber trifft das nicht nur als Metapher zu. Eine Wirbelsäulenverletzung machte diesen fragenden Blick, was ihn wortwörtlich im Innersten zusammenhält zwingend. Er ist diesem eigenen Blick mit nachvollziehbarer Betroffenheit, aber offenbar ohne Theatralik gefolgt und hat versucht, die Verletzung und die Angst zu bearbeiten. Er hat mit bildnerischen Mitteln das Bauwerk Mensch neu untersucht – dieses Konstrukt was aufeinander und ineinander ruht in Teilen mit ihren spezifischen physikalischen Gegebenheiten, die wiederum Bewegung, aufrichten, hebeln usw. ermöglichen. [...] Der Betrachter kommt nicht umhin, die eigene Festigkeit zu hinterfragen, die scheinbare Selbstverständlichkeit seines täglichen Agierens, wenn denn über sie verfügen darf. Das ist es vielleicht, was am meisten berührt: die Chance aus den Bilder zu nehmen, sich zu fragen, zu hinterfragen und Lebensphasen des In-Ruhe-Gelassen-Werdens von Schmerz, von Unfähigkeit, von Unselbstständigkeit als ein Glück zu nehmen. Kommt man an diesen Punkt, verliert sich die anfängliche Bedrückung die einem vielleicht beim ersten Anblick der Bilder überkam.“

 

„In Jürgen Raibers Arbeiten begegnen wir auch wiederholt dem Knochenmann. [...] nicht in theatralischer Geste und ganz ohne Gefolge als einen in Holz Geschnittenen – in der Skulptur, dem Relief oder im Holzdruck. Er ist hier kein Sensenmann oder Dämon, tendiert eher zu den Skelettmännern die man als Talismann trägt oder assoziiert jene Kulturen, in denen man fröhlich der verwandten toten Seelen gedenkt, wie etwa beim mexikanischen Totenfest. Darf hier [...] vermutet werden, sich lieber nicht zu spät mit dem „Gevatter Tod“ anfreunden – ohne freilich eine vorzeitige Bereitschaft zu signalisieren.“

 

Susann Hoch,

aus der Eröffnungsrede zur Ausstellung „Querschnitt“ 2011

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